Die Herkunft des Namens Lucius

Das im Jahr 1886 erschienene »Familienbuch der Familie Lucius/Lotz aus Lich/Wetterau« (Hrsg. Richard und Julius Lucius) galt damals als ein besonders gelungenes Werk genealogischer Forschung, eingeleitet vom Onkel der Herausgeber, Prof. Dr. Ferdinand V. Lucius. Nicht nur; daß es neben den Mannesstämmen aller Nachkommen des N.N. Lotz um 1600 in Lich (später Henn Lutz, aus Reichelsheim/Wetterau) alle erfaßbaren Töchterstämme bis zum Datum des Erscheinens enthielt; es brachte neben:

  • Lebensbildern der Vorfahren,
  • Stammbäumen von eingeheirateten Familien,
  • eingehenden heraldischen Betrachtungen,
  • Hinweisen und quellenkundlichen Belegen über andere Familien des Namens,

auch eine Fülle weiterer Vorkommen des Namens, einzeln und als Pseudonyme.
Die im Anschluß an das Familienbuch seit 1897 erschienenen »Nachrichten aus der Familie Lucius/Lotz« (heute im 7. Band) – in der Folge Familienblätter (Fbl.) genannt – haben immer wieder diese oder jene genealogische Betrachtung aufgenommen und erweitert. Vor allem Richard Lucius selbst hat in seinem Handbuch bis zu seinem Tode (1909) zahlreiche bislang unveröffentlichte Nachträge notiert. Weitere Hinweise zum vorliegenden Thema finden sich in Fbl. Bd. 3: Nr. 10 – Oktober 1929 (Schäfer/Röder), S. 141ff.

Der bekannte hessische Familienforscher Pfarrer Hermann Knodt (†) – ein Schwiegersohn des Richard L. – hat sich u.a. in zahlreichen Publikationen mit dem Ursprung und der Verfestigung von Familiennamen befaßt. Während sie in bürgerlichen Familien – vor allem in Städten – bereits gegen Ende des 13. Jh. beginnt und sich dort häufig nach Herkunft, Besitz, Aussehen, Charakter u.a.m. vollzieht, später wohl auch – im norddeutschen Raum – patronym, beginnt sie im ländlichen Raum erheblich später.

Lotz oder Lutz ist – nach Knodt – ein uralter Vorname, entstanden als Diminuitiv von Chlodwig (Ludwig). Dieser Name war ebenso verbreitet wie etwa der Name Johannes. Während aber im bürgerlichen Raum der Vorname erhalten blieb, wurde er im ländlichen Raum häufig zum Nachnamen, was die gewünschte Differenzierung bei Urkunden nicht immer förderte. Die Neigung, Kinder mit den Taufnamen der Vorfahren zu versehen – häufig sogar nach festen Regeln – führte in der Forschung oft zur Verwirrung, ebenso wie die Differenzierung durch I. oder II., auch durch »sr.« und »jr.« denn dies bestimmte nicht immer ein »Vater-Sohn-Verhältnis«.

//251// Der bisher als ältester Ahnherr der Familie »Lucius/Lotz aus Lich/Wetterau« geltende Bäcker in Reichelsheim Henn Lutz ist uns nur von seinem Epitaph in der dortigen Kirche bekannt (Fbl. III. S. 172/3 u. 286, und IV S. 274/75). Die folgenden Generationen stellten mit Johannes, »senior« in Lich und seinem möglichen Sohn Johannes (ohne Beifügung) schon unsere Großväter vor ein Problem: war der »senior« Ratsherr, Bürgermeister oder nur der Vater (Onkel)? (einen »junior« oder »minor« gibt es nicht). Erst die sorgfältig geführten Kirchenbücher geben genauen Einblick, dann die nicht zu unterschätzenden Universitätsmatrikel. Mit ihnen beginnen die unterschiedlichsten Formen der Latinisierung, zugleich aber auch – durch die Angabe des Herkunftsortes – die Differenzierung nicht verwandter Familien. So grenzen sich klar voneinander ab die Familien:

  • Lucius-Luzius in Framersheim bei Alzey, deren Ahnherr Leucius hieß;
  • Lotichius in Hessen mindestens zweimal, und vergleichbar mit Lutziges, in der Entstehung s.u.;
  • Lucius in Dresden, Leipzig, Oschatz und Umgebung, Erfurt; Rinteln (ursprünglich aus der Wetterau);
  • Lucius in Weilburg/Wetzlar (und von dort ins Elsaß) u.a.m. Lucius/Luzius-families in USA (eine davon aus dem Elsaß).

Manche dieser Familien übertragen ihren Namen auf den jeweiligen Besitz. Zwei Beispiele seien hier genannt: Die Mühle in Framersheim hieß durch mehrere Generationen »Luci-Mühle«; die »Lutziges-Litziges« besaßen einen »Lizzi-Hof« (ursprünglich »Luzius«), s.u. Der umgekehrte Vorgang ist bisher nicht bekannt.

Es ist für einige der Lotz-Lucius-Familien bezeichnend, daß Sprache und Volksmund später einen quasi »Ausstieg« aus der Latinisierung bewirkten. In der Schweiz, in den USA, in Framersheim wurde – phonetisch bedingt – aus dem »c« ein »z«, gelegentlich finden wir beide Formen nebeneinander. Ein Musterbeispiel für die »Notwendigkeit« einer solchen Änderung findet sich in einer Volkszählungliste in den USA, wo der Eintrag Looshes lautet statt Lucius (in späteren Listen wieder richtig) – phonetisch ist dies nicht zu trennen.

Im italienischen Sprachraum erhält sich dagegen das »c«, wird aber wie »tsch« gesprochen.

Das markanteste Beispiel für den Einfluß von Volksmund (Sprache) und Brauchtum bietet sich zweifellos bei der Familie des Johannes Lucius, Luzius, Lutzius = Rückführung zur Stammform Lutz, der 1669 in Roßdorf verheiratet war Seine Nachkommen sind noch vor hundert Jahren in der Nähe nachgewiesen, sei es als Lucius, sei es als Litziges. Der Stammhof der Familie hieß im Volksmund »Lizzi-Hof«. Ihn nach dem Familiennamen zu benennen (Luzius), war Brauch, ihn so zu benennen beruht auf der mundartlichen Eigenart im nördlichen Hessen (wie auch in Tirol!), aus dem »u« (»o«) ein zu machen »Ostern/Ustern = Istern«, »Bohne/Bune = Bine«, »Kloster/Kluster =Klister«, »Schuster = Schister« u.a.m. – Daß dem so verkürzten Familiennamen in der Folge ein -ges angehängt wird, ist wieder auf den Brauch zurückzuführen, den Hofnamen auf die ganze Familie zu übertragen: Es waren die »Litziges«, die dort lebten. //252// Litziges und Luzius konnten also gleichen Mannesstammes sein. – Umgekehrt gibt es (s. oben) eine ganze Reihe von Familien des Namen Luc(z)ius, die nicht miteinander verwandt sind. Die meisten von ihnen leben heute noch im Mannesstamm in Deutschland, in den USA, in Paris.

Schon Richard Lucius und sein Bruder Julius haben in dem o.a. Familienbuch zahlreiche »Pseudonyme« aufgezählt. Sie finden sich vor allem in der Literatur, vorab in geistlichen Abhandlungen. Warum der jeweilige Autor dies Pseudonym gewählt hat, ist nie ganz sicher zu entscheiden. Die nahe Verwandtschaft des alten römischen Vornamens »Lucius«, mit dem lateinischen »lux« dürfte hier eine Rolle gespielt haben – vor allem im Raum der Kirche. Der Wahlspruch des Licher Pfarrers Friedrich Christoph Lucius (1691-1742) lautete: »fiat crux lux« – (zugleich: F.C.L. für seine Initialen). Johann Jacob Lucius I., Pfarrer in Wohnbach/Wetterau (1641-1722), wählte sich ein Wortspiel zum Motto: »Spero Lucem Lucio« (lucem für »Licht«, Lucio für den Namen). Die allgemeine Deutung für den (pseudonymen Namen) ist heute: »Der Lichtvolle«. – Früher auch: »Der Lichtbringende«. Angelus Silesius fand dafür den Wahlspruch: »Weil ich das Licht, so wie es ist, soll sehen, so muß ich’s selber sein, sonst kann es nicht geschehen.«

Für die Entstehung des Namens »Lucius« ist die Latinisierung des alten Familiennamens Lotz/Lutz von gleicher Bedeutung wie die Herkunft der Pseudonyme aus dem lateinischen »lux«. Womöglich muß der römische Name Lucius schon in Verbindung gebracht werden mit Lucina, der Göttin des Lichts. Sicher ist, daß wir dem Familiennamen Lucius ab dem 17. Jahrhundert fast ausschließlich in theologischen Familien (oder deren Nachkommen) begegnen, dem Pseudonym ebenso überwiegend in theologischen Schriften. Dieser Zusammenhang wird unterstützt durch die ca. 20 Bischöfe, Märtyrer und Heiligen der katholischen Kirche (darunter 3 Päpste) des Namens Lucius. Zwei von ihnen mögen hier Erwähnung finden: Der eine, weil man ihm auch in Deutschland begegnet und weil er wohl der bekannteste ist:

Nach der Legende war er ein angelsächsischer König des 2. Jahrhunderts (?), der sich in die Schweiz aufmachte, um sich der Missionierung zu widmen. Später Bischof von Chur; muß er in einem zu seiner Zeit »unheiligen« Land ein sehr erfolgreicher Missionar gewesen sein. Seine Hauptkirche steht noch heute in Chur (neuerdings St. Luzius), Votive in der Schweiz, in Oberitalien, in Ravenna und in Rom; eine Kapelle in Goldrain im Vintschgau (siehe Bild). Zwei – in ihrem Ursprung – romanische Kirchen finden sich in Deutschland: St. Emmeram in Regensburg und St. Lucius in Essen-Werden: Hier ist der rhätische Missionar in einer Wandmalerei von 1052 dargestellt.

Der zweite, weil er ein räumlich und berufsbegrenzter Heiliger ist und zugleich ein Beispiel dafür, wie Legende und Verehrung sich über ca. 12 Jahrhunderte hinweg bis heute erhalten haben: Hoch über Lugano befindet sich ein Paß zwischen der Schweiz und Italien: der St. Lucius (italienisch S. Lucio). Zu seinen Füßen ein veritables Hotel, das »S. Lucio«. Beide sind gewidmet einem kleinen Schafhirten, von dem die Legende weiß, daß er die doppelte Menge an Käse herstellen konnte wie von seinem Herrn //253// gefordert. Seinen weniger glücklichen Mithirten half er so, ihr »Soll« zu erfüllen. Als sein Herr dahinter kam, ließ er ihn köpfen und machte ihn so zum Märtyrer und Schutzheiligen der Schafhirten im Tessin. – Oberhalb von Biasca, in den Berg gebaut, befindet sich die (heute nicht mehr benutzte) Kirche S. Pedro e Paolo (ein fast unbeachtetes Schmuckstück Tessiner Kirchenbaus). Dort an einem Pfeiler – befindet sich ein Fresco des Hirtenknabens (vgl. Bild).

Chlodwig – Lotz – Lutz/Lucina – Lux: Beide so verschieden scheinende Wurzeln unseres Familiennamens bilden im Grunde eine Einheit, seine Abwandlungen im Laufe der Zeit sind Zeichen von Raum, Mundart und Brauchtum.

Schreibe einen Kommentar